Zu sagen, Victor Hugo habe geirrt, als er einst sagte „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“, ist angesichts der vielen gesellschaftlichen und politischen Beweise seines Zitates unangebracht. Dass die Universalität dieses Satzes nun ausgerechnet bei der lang beschworenen BIM-Revolution an ihre Grenzen stößt, heißt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass die Zeit für die Idee eines ungehinderten Data Flows in der Baustoffindustrie noch nicht reif ist. Vielmehr funktioniert das Zitat nur, wenn viele weitere Umstände passen. Die beste Idee braucht neben dem perfekten Zeitpunkt ebenso Strategie, Klarheit, Vision, die passenden Werkzeuge – und die richtigen Anführer. Ob 1789, 1989 oder die amerikanische Bürgerrechtsbewegung: Ohne diese Kombination hätten viele Revolutionen wahrscheinlich auch anders ausgesehen.
Building Information Modeling (BIM) stellt für Hersteller von Baustoffen und Bauprodukten eine der größten Chancen der letzten Jahrzehnte dar. Nie war es für Hersteller einfacher, bei Planern und Architekten Akzeptanz zu erzielen. Nie war die Möglichkeit näher, ihre Lösungen in den Plänen der Architekten zu verankern und dadurch als Leitprodukt ausgeschrieben zu werden. Nie war es für Hersteller und Architekten realer, kollaborativ und partizipativ Lösungen zu entwickeln, die nicht zuletzt der Bauqualität zugutekommen. Doch während Planer und Architekten mit großen Schritten in die digitale Zukunft eilten, hinkt die Baustoff- und Bauproduktindustrie in vielen Bereichen noch hinterher. Dabei ließe sich ein Slogan für die Revolution schnell finden. „Digitaler, kollaborativer, besser“ klingt zwar nicht so einprägsam wie „Liberté, Égalité, Fraternité“, „Wir sind ein Volk“ oder „I Have a Dream“. An einer Leitidee für BIM mangelt es nun aber wirklich nicht.
Vielmehr hat die Bauindustrie einen anderen Fehler begangen, der sie von den genannten historischen Beispielen fundamental unterscheidet. Man hat versucht, den Umbruch ohne die Basis zu wagen. Zu lange wurden BIM-Daten nicht am Bedarf der Planer und Architekten ausgerichtet, also denen, die sie verwenden sollen. Statt zu fragen, was sie brauchen, haben Hersteller einfach einmal gemacht. Mit teils problematischen Folgen. Wir haben uns deshalb auf Spurensuche begeben und haben die größten Versäumnisse der Bauindustrie analysiert, um zu zeigen, was getan werden müsste, damit die BIM-Revolution endlich durchstarten kann. Zum Vergleich mit den großen historischen Umwälzungen stehen wir. Schließlich treibt uns die Idee zur digitalen Baustoffrevolution seit Jahren an. In diesem Sinne: „Digitalisez! Collaborez! Jetzt!“.
1. Versäumnis: BIM ohne ganzheitliche Digital-Strategie
Laut Lexikon steht die vom altgriechisch strategia (von „Feldherrentum“) abgeleitete Strategie für einen längerfristigen genauen Plan für ein Verhalten, das dazu dient, ein (militärisches, politisches, psychologisches o. ä.) Ziel zu erreichen, und in dem man alle Faktoren von vornherein einzukalkulieren versucht. Ob es diesen Plan für die BIM-Revolution gegeben hat? Leider nein. Die Industrie hat zwar erkannt, dass BIM einer der ganz großen Zukunftstrends ist. Statt es nachhaltig anzugehen und BIM in den Kontext einer grundsätzlichen Digitalstrategie zu stellen, wird es jedoch behandelt wie eines von vielen Todos auf einem Kanban Board. Hersteller lassen ihre Produktdaten einmalig in BIM-Objekte übersetzen, die dann zum Download auf scheinbar relevanten Portalen bereitstehen. Die Erkenntnis, dass BIM nur ein Teil der gesamten Digitalstrategie ist, setzt sich erst später durch, wenn die wirklich ressourcenintensive Arbeit der Datenpflege beginnt. Dann sind allerdings die wenigsten bereit, eine Rolle rückwärts zu machen - und noch einmal von vorn zu beginnen. Oder, um im Bild eines Schachspiels zu bleiben: Nach einigen ungeschickten Zügen ist es schwierig, sich aus der Lage zu manövrieren. Zumal manche sicher der Annahme sind, dass BIM nun einmal diesen Aufwand erfordert - was nicht stimmt. Richtig ist, dass BIM immer nur ein Themenfeld einer grundlegenden Digitalstrategie sein muss. Die wohl wichtigste Frage auf dem Weg der strategischen Weichenstellung müsste deshalb ganz allgemein lauten: Wie lassen sich effizient alle meine Daten managen?
2. Versäumnis: Kein Single Sourcing, kein Tracking, keine Aktualisierung
Der beste Plan und die beste Strategie nützen nichts, wenn sie auf den falschen Informationen oder Annahmen beruhen. Man stelle sich vor, ein Architekturentwurf sei ein Schachbrett und man würde ein Objekt planen, ohne die Lage und Anzahl seiner Spielfiguren zu kennen. Undenkbar! Genau auf diese Informationsqualität wurde bei der BIM-Revolution zu lange nicht geachtet. Dabei gibt es längst eine Lösung. Eine Antwort liefert das Prinzip Single Sourcing - übersetzt “einzige Quelle”. Es bedeutet, dass jedes Produkt nur eine einzige Adresse im Datenmanagementsystem hat, über das es verändert und gesteuert werden kann. Ob Online-Kataloge, Websites oder als BIM-Objekte im Digital Twin: Alle Ausleitungen von Produktdaten sind immerzu mit dem Stammdatenmanagement (MDM) des Herstellers verbunden - häufig ein PIM-System. Daraus entsteht ein wesentlicher Vorteil: Hersteller können ihre herausgegebenen Produktdaten tracken. Der relevanteste Grund für Produktdaten-Tracking ist, die Produktdaten aktualisieren zu können. Denn: Dafür müssen Hersteller wissen, wo überall sich ihre Produktdaten befinden. Eine Sisyphusarbeit ohne Single Sourcing, die kaum ein Unternehmen wirklich garantieren kann - und dennoch unumgänglich. Denn: Datenaktualität ist ein Kernelement für Datengüte. Kein Planer möchte mit veralteten Produktdaten planen. Das geht sogar soweit, dass führende Planungsbüros in Deutschland ausschließlich mit BIM-Objekten arbeiten, die Single Source erstellt wurden. Veraltete Produktdaten sind ein Problem, weil sie nicht zeigen, wenn ein Produkt sich geändert hat oder nicht mehr im Angebot ist, und dadurch vielleicht den Anforderungen und einem speziellen Aufbau als Lösung nicht mehr dienen kann.
Single Sourcing und das Tracken der Produktdaten sind etwas ganz Wesentliches. Sie schaffen die Grundlage für Datenaktualität und in der Folge für eine gewährleistete Datenqualität. Daraus ergibt sich eine Vielzahl an weiteren Use Cases: Planer können sich etwa Lieferzeiten, Verfügbarkeiten und andere aktuelle Informationen anzeigen lassen, die die Projektplanung unterstützen. Die Kenntnis über die Verwendung der Produkte kann Hersteller dazu veranlassen, Außendienstmitarbeiter zu Großprojekten zu senden, die bei der Umsetzung unterstützen. Und last but not least: Das Datentracking gibt als einzig verlässliche Quelle Aufschluss über die Wirksamkeit des BIM-Datenangebots. Womit wir auch schon beim nächsten großen Versäumnis wären.
3. Versäumnis: Bauindustrie beachtet die Wirksamkeit ihres BIM-Datenangebots nicht
Das englische Wort „impact“ lässt sich unter anderen mit Auswirkung, Wirkung, Effekt, Einfluss oder Aufprall übersetzen. Während der Impact der eingangs beschriebenen großen Revolutionen keiner weiteren Erläuterung bedarf, hegte die Bauindustrie lange Zeit völlig falsche Vorstellungen vom wirklichen Einfluss der BIM-Umstellung. Der Fokus lag auf irrelevanten Zahlen. Hersteller geben sich mit Downloadzahlen von Downloadportalen wie BIMobject, Plan.One oder Heinze zufrieden. Sie empfinden das Ergebnis von ein paar Tausend Downloads pro Jahr als Erfolg. Die Wahrheit aber ist, dass Downloadzahlen keine Auskunft über die tatsächliche Verwendung ihres BIM-Angebots geben. Der Unterschied zwischen den 5.000 Downloads von einem BIM-Downloadportal und 500 Imports von BIM & More in eines der relevanten CAD-Programme ist, dass die Wirksamkeit eine ganz andere ist. Denn: Von diesen 5.000 Downloads sind es wahrscheinlich nicht einmal 50, die in ein CAD-Planungsprogramm übergehen, sprich in der Planung tatsächlich verwendet werden. Architekten laden sich die Produkte herunter, schauen sie sich an und schließen sie wieder. Das kann theoretisch auch bei BIM-Infrastrukturen wie BIM & More passieren. Aber in Regel ist es so, dass hier ein konkretes Planungsprojekt offen ist, in das importiert wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass mit diesem Produkt Simulationen und Berechnungen stattfinden und es dadurch zum Leitprodukt wird, ist hier ungleich höher. Man kann ebenso sagen: Die höhere Wahrscheinlichkeit entspricht bei BIM & Moreder höheren Wirksamkeit. Die kurzfristige Analyse von Downloadzahlen als scheinbarer impact, die in BIM zunächst einmal gar nichts aussagen, stützt die Illusion vom Erfolg der BIM-Strategie. Richtig betrachtet jedoch wird aus einem Effekt eine Wirkung mit der Wucht eines Aufpralls.
4. Versäumnis: Die 3D-Darstellung von Bauprodukten sind viel zu genau
Gemälde, Fotos, Neuerdings immer öfter Videosequenzen: Fast alle haben wir von Revolutionen genaue Bilder vor unserem geistigen Auge. Ob das Bild „Die Freiheit für das Volk“ des französischen Malers Eugène Delacroix, die Menschen und Trabanten am Brandenburger Tor oder das Portrait Martin Luther Kings. Weder die Ikonographie noch die genauen Darstellungen dürfen jedoch darüber hinwegtäuschen, dass viele Motive meist erst mit dem Ereignis oder danach Teil unseres kollektiven bildhaften Gedächtnisses geworden sind.
Womit wir beim Thema wären. Das Thema 3D in BIM ist zu gleichen Teilen Fluch und Segen. Natürlich hat das Dreidimensionale unglaubliche Vorteile für das räumliche Verständnis. Für manche Aufgaben, etwa der Kollisionserkennung, ist es geradezu unablässig. Aber es ist auch Fluch. Und zwar deshalb, weil BIM allzu sehr darauf reduziert wird. Hersteller haben die Tendenz, ihre BIM-Objekte mit geometrischen Informationen zu überladen, weil sie sich im Design von anderen Produkten abgrenzen wollen. Etwa eine Badewanne, die an einer bestimmten Stelle eine für sie einmalige Rundung hat, die den Hersteller vermeintlich von Produkten der Konkurrenz mehr als alles andere unterscheidet. Das wollen Hersteller unbedingt zeigen. Das führt aber oft dazu, dass diese 3D-Modelle komplett am Bedarf des Architekten vorbeigehen, weil sie viel zu datenintensiv sind. Diese Badewanne kann ein Planer in Revit nämlich nur begrenzt einsetzen und dann crasht das Planungsprogramm. Der Planer muss diese Badewanne aber vielleicht in einem Hotel 500-mal einsetzen können. Dafür braucht er eine vom Profi erstellte, optimierte, zielführende Geometrie.
Der Architekt muss zu jeder Zeit in der Lage sein, seine Geometrie sowohl hinsichtlich des Level of Geometry (LOG) als auch des Level of Information (LOI) zu managen. Das heißt: In der frühen Planungsphase setzt der Planer eine Badewanne ein und da steht dann nur “Badewanne”. Man weiß noch gar nicht, was das für eine ist. Erst zu einem späteren Zeitpunkt soll sich diese Badewanne in ein Produkt umwandeln lassen. Das ist dann das gleiche Modell, es heißt dann aber nicht mehr “Badewanne”, sondern vielleicht “Badeerlebnis von Geberit”. Dieser Schritt bzw. dieses Management muss auf einfache Weise möglich sein. Man nennt dies Mapping von produktneutraler Badewanne in eine produktspezifische Badewanne, also ein spezifisches Produkt.
5. Versäumnis: Fehlende Trennung von alphanumerischen und geometrischen Daten
Ein Problem auf dem Weg zur BIM-Revolution ist das Verkapseln von Informationen. Man stelle sich die Flugblätter vor, die während der französischen Revolution massenweise verteilt wurden, um die Menschen zu informieren und zu mobilisieren. Hätten sie keine lesbaren Informationen von wirklichem Nutzen enthalten, hätte die Revolution nach dem Sturm auf die Bastille wahrscheinlich ein jähes Ende gefunden.
Dieses Problem besteht häufig bei BIM-Objekten etwa von Downloadportalen. Zwar liegen die gesamten Informationen vor und sie wären auch hilfreich und wertvoll, wenn sie nicht verkapselt wären. Denn: Planer und Architekten können sie in ArchiCAD oder Revit sehen, aber nicht weiterverwenden. Die Informationen lassen sich nicht einmal in der internen Revit- oder ArchiCAD-Mengenermittlung auslesen. Und dadurch sind sie für Planer und Architekten eigentlich wertlos. Um diesem Problem zu begegnen, müssen Hersteller alphanumerische Information (Textinformation, Zahlen, Nummern) immer getrennt von der Geometrie anlegen, so dass sie sich immer nur fallweise überlagern lassen, wenn es gerade gebraucht wird. Genau dieses Management von alphanumerischen und geometrischen Informationen leistet BIM & More.
6. Versäumnis: IFC ist das falsche Format, um Baustoffe und Bauprodukt an Architekten zu adressieren
Jede Revolution hat ihre eigenen Hilfsmittel und Instrumente, mit denen der Wandel vollzogen wird. Auch Planer und Architekten agitieren seit langem mit ihren CAD-Planungsprogrammen für die Vision einer grenzüberschreitenden BIM-Kollaboration - allein ihnen fehlt der passende Treibstoff. Anstatt Planer mit brauchbaren nativen Daten zu wappnen, geben Hersteller Produktdaten in IFC weiter. Ein Format so effektiv wie eine Platzpatrone.
IFC ist zwar das geläufigste BIM-Datenaustauschformat, es muss allerdings richtig eingesetzt werden, damit es seinen Mehrwert entfalten kann. IFC findet vor allem sinnvoll Anwendung bei Planungen von ganzen Gebäuden, für 3D-Modelle, die dann in Fachingenieur-Kreisen bearbeitet werden. Leider ist es aber so, dass die Industrie selbst IFC-Daten ausgibt. Sie tut dies mit der besten Absicht. Denn sie unterliegt dem Missverständnis, dass IFC genau deshalb die richtige Munition ist, weil sie ihre Bauprodukte, beispielsweise Badewannen oder Fenster, mit dem Planer austauschen möchte. IFC macht zwar als Datenaustauschformat für Gesamtgebäude-Projekte Sinn, nicht aber für ein einzelnes Produkt. Denn: Es lässt sich nicht bearbeiten, keine Farbe ändern, keine Eigenschaften abrufen, so wie es der Planer eventuell braucht. Die Industrie sollte stattdessen auf native Daten der führenden CAD-Systeme setzen, damit ihre Daten angenommen und akzeptiert werden. Nur weil Architekten ihre Planungsstände des Gesamtprojektes in IFC an Fachplaner wie Statiker, Bauphysiker oder Haustechniker ausgeben, heißt das nicht, dass Architekten das Fenster im IFC-Format haben wollen. Wieder ein Fehler mangelnder Kommunikation.
7. Versäumnis: Fehlbesetzung der BIM-Koordinatorenstelle in Unternehmen der Bauindustrie
Es braucht nicht gleich einen Danton oder Robespierre für jede Revolution, aber gewisse Führer- und Fachqualitäten gepaart mit einer Vision schaden nicht. Ein Grundproblem, auf dem viele der bisher beschriebenen BIM-Versäumnisse der Industrie fußen, ist dem Umstand geschuldet, dass häufig Personen oder Abteilungen mit BIM betraut werden, die nicht vom Fach sind. Sie sind weder Digitalisierungs-Profis, noch Bau-Experten. Dabei sind die Themen BIM und BIM-Datenbereitstellung höchst anspruchsvolle strategische Felder, die viel Fachwissen erfordern. Und nichts weniger als die Zukunft des Unternehmens betreffen. Nicht selten liegt die Verantwortung für das BIM-Angebot beim Marketingleiter. Diese Verortung zeigt, dass viele Unternehmen BIM in seiner Tragweite noch immer unterschätzen. Statt die notwendigen Schritte für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens einzuleiten, soll das Marketing zeigen, dass die Firma BIM-ready ist. Und wenn Hersteller dann noch zusätzlich nicht auf Berater hören. Dann fangen sie nach Jahren sicher wieder ganz von vorne an.